Zahnerkrankungen und Herz-Kreislauf-System
Zahnerkrankungen beeinflussen nicht nur die Mundgesundheit, sondern stehen zunehmend im Fokus interdisziplinärer Forschung, da sie mit systemischen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht werden – insbesondere mit Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. Chronisch-entzündliche Prozesse im Mundraum, wie sie beispielsweise bei Parodontitis auftreten, können sich negativ auf Gefäße, Herzfunktion und Blutdruckregulation auswirken.
Die wissenschaftliche Evidenz deutet darauf hin, dass die Mundhöhle ein bedeutender Faktor im Systemgeschehen darstellt – sowohl als Eintrittspforte für Krankheitserreger als auch als Quelle entzündlicher Mediatoren, die systemische Reaktionen auslösen können.
Parodontitis als Risikofaktor
Die Parodontitis gilt als häufigste zahnmedizinische Erkrankung mit systemischer Relevanz. Es handelt sich um eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparats, ausgelöst durch bakterielle Plaque und verstärkt durch immunologische Reaktionen.
Studien zeigen eine signifikante Korrelation zwischen Parodontitis und:
- koronarer Herzkrankheit (KHK)
- Arteriosklerose
- Myokardinfarkt
- Schlaganfall
- Endokarditis
Das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen ist bei Parodontitis-Patienten deutlich erhöht, insbesondere wenn weitere Risikofaktoren wie Diabetes, Rauchen oder Hypertonie vorliegen.
Mechanismen der Wechselwirkung
Die pathophysiologischen Zusammenhänge zwischen Zahnerkrankungen und Herz-Kreislauf-System beruhen auf mehreren Mechanismen:
- Systemische Entzündungsreaktion
- Parodontitis erhöht systemische Entzündungsmarker (z. B. CRP, IL-6), die zur Gefäßwandveränderung und Plaqueinstabilität beitragen können.
- Endothelläsionen durch bakterielle Toxine
- Orale Pathogene (z. B. Porphyromonas gingivalis) gelangen über die Blutbahn in entfernte Gewebe und können dort direkte Schäden verursachen.
- Thrombozytenaktivierung und Gefäßverengung
- Entzündungsmediatoren fördern die Gerinnselbildung und beeinträchtigen die Mikrozirkulation.
- Mikrobielle Dissemination durch Zahnfleischbluten
- Wiederholte Bakteriämien begünstigen die Ansiedlung pathogener Keime an vorgeschädigten Herzklappen oder Gefäßwandarealen.
Diese Prozesse verdeutlichen, warum Parodontitis nicht als lokales Problem, sondern als systemische Erkrankung mit oraler Manifestation betrachtet werden sollte.
Weitere relevante Zahnerkrankungen
Neben Parodontitis gibt es weitere zahnmedizinische Befunde mit möglicher Relevanz für das Herz-Kreislauf-System:
- Periapikale Entzündungen bei unbehandelten Wurzelkanälen
- chronische Gingivitis mit bakterieller Persistenz
- Infektiöse Prozesse nach Extraktionen oder Implantationen
- Prothesendruckstellen mit bakterieller Superinfektion
Insgesamt ist jede anhaltende orale Entzündung oder Infektion potenziell relevant – besonders bei immungeschwächten oder vorerkrankten Personen.
Auswirkungen auf bestimmte Patientengruppen
Der Zusammenhang zwischen oraler und kardiovaskulärer Gesundheit ist besonders relevant bei:
- Patienten mit künstlichen Herzklappen oder Klappenerkrankungen
- Patienten mit Endokarditis-Risiko (z. B. angeborene Herzfehler)
- Personen mit koronarer Herzkrankheit
- Schlaganfall- und Infarktpatienten in der Nachsorge
- Trägern von Gefäßprothesen oder Stents
In diesen Fällen sollte eine enge Abstimmung zwischen Zahnmedizin und Kardiologie erfolgen – auch hinsichtlich prophylaktischer Antibiotikagabe oder OP-Planung.
Prophylaxe und therapeutische Konsequenzen
Ein zentraler Ansatz zur Reduktion des systemischen Risikos liegt in der frühzeitigen Diagnose und Behandlung parodontaler Erkrankungen. Dazu zählen:
- regelmäßige professionelle Zahnreinigung (PZR)
- gezielte Parodontaltherapie bei Entzündungszeichen
- motivierende Mundhygieneinstruktion
- Monitoring von Blutungsneigung und Taschenstatus
Auch in der präventivmedizinischen Aufklärung kardiologischer Patienten sollte die Mundgesundheit thematisiert werden.
Darüber hinaus wird diskutiert, ob parodontal behandelte Patienten von einer verbesserten kardiovaskulären Prognose profitieren – etwa durch sinkende Entzündungsmarker oder reduzierte vaskuläre Komplikationen. Konkrete kausale Beweise stehen jedoch noch aus.
Forschungslage und Evidenz
Die Assoziation zwischen Parodontalerkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist gut dokumentiert. Zahlreiche Studien zeigen:
- ein erhöhtes relatives Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall bei unbehandelter Parodontitis
- signifikante Korrelationen zwischen Entzündungsmarkern aus dem Mundraum und systemischen Markern (z. B. CRP)
- Nachweise oraler Bakterien in atherosklerotischen Plaques
Eine direkte Kausalität lässt sich derzeit jedoch nur bedingt ableiten, da viele gemeinsame Risikofaktoren bestehen (z. B. Rauchen, Stress, Ernährung). Dennoch sprechen die Datenlage und die biologische Plausibilität für einen relevanten Zusammenhang.
Fazit
Zahnerkrankungen, insbesondere Parodontitis, haben einen messbaren Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System. Durch systemische Entzündungen, bakterielle Streuung und immunologische Reaktionen können sie zur Entstehung oder Verschlechterung kardiovaskulärer Erkrankungen beitragen. Eine gute Mundgesundheit ist deshalb nicht nur ästhetisch und funktionell wichtig, sondern auch ein Beitrag zur allgemeinen Gesundheitsvorsorge. Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Aufklärung sind entscheidend, um Risiken frühzeitig zu erkennen und präventiv zu handeln.