Gingivale Hyperplasie
Die gingivale Hyperplasie ist eine pathologische oder medikamentös bedingte Vergrößerung des Zahnfleischs, die sowohl ästhetische als auch funktionelle Beeinträchtigungen verursachen kann. Sie tritt bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auf und stellt eine häufig unterschätzte Herausforderung in der zahnärztlichen Praxis dar. Obwohl sie meist schmerzfrei verläuft, kann sie schwerwiegende Folgen für die Mundgesundheit und das allgemeine Wohlbefinden haben – insbesondere dann, wenn sie nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt wird.
Was versteht man unter gingivaler Hyperplasie?
Unter gingivaler Hyperplasie versteht man eine Zunahme des Volumens des Zahnfleischgewebes, insbesondere im Bereich der freien oder befestigten Gingiva. Die Vergrößerung kann durch Zellvermehrung (Hyperplasie) oder durch eine Zunahme der interzellulären Substanz (Hypertrophie) bedingt sein. Die betroffenen Stellen wirken verdickt, uneben oder geschwollen – teilweise so stark, dass die Zähne optisch verkürzt erscheinen oder sogar ganz vom Gewebe überdeckt werden.
Ursachen der gingivalen Hyperplasie
Die Gründe für eine gingivale Hyperplasie sind vielfältig. In der zahnärztlichen Praxis unterscheidet man in der Regel zwischen folgenden Auslösern:
1. Medikamentös bedingt
Ein bedeutender Teil der Fälle ist auf bestimmte Arzneimittel zurückzuführen, darunter:
- Antiepileptika wie Phenytoin
- Immunsuppressiva wie Ciclosporin A
- Kalziumkanalblocker (z. B. Nifedipin, Amlodipin)
Diese Medikamente begünstigen eine übermäßige Zellvermehrung des Zahnfleischs – insbesondere bei gleichzeitig unzureichender Mundhygiene.
2. Entzündlich bedingt
Bei chronischer Plaque-Akkumulation kann sich das Zahnfleisch entzünden und infolgedessen wuchern. Diese Form ist häufig bei Jugendlichen in kieferorthopädischer Behandlung oder bei Erwachsenen mit schlechter Zahnpflege zu beobachten.
3. Hormonell bedingt
Hormonelle Veränderungen – etwa während der Pubertät, Schwangerschaft oder durch hormonelle Verhütungsmittel – können zu vorübergehenden gingivalen Veränderungen führen.
4. Genetisch bedingt
Die hereditäre gingivale Fibromatose ist eine seltene, genetisch vererbbare Form der Hyperplasie, die unabhängig von Entzündungen oder Medikamenten auftritt.
5. Systemische Erkrankungen
Auch systemische Grunderkrankungen wie Leukämien oder andere Blutbildungsstörungen können mit einer massiven Zahnfleischvergrößerung einhergehen.
Klinisches Erscheinungsbild
Die Erscheinungsformen reichen von lokal begrenzten Schwellungen bis hin zu generalisierten Wucherungen, die ganze Zahnreihen betreffen. Typische Merkmale sind:
- Glatt glänzende, oft blassrosa oder rötliche Oberfläche
- Zahnteile sind verdeckt
- Pseudotaschenbildung durch überstehendes Gewebe
- Keine spontane Blutung, aber Blutungsneigung bei Berührung
- Eventuell Beschwerden beim Kauen, Sprechen oder Zähneputzen
In ausgeprägten Fällen kann die gingivale Hyperplasie auch zu Fehlstellungen der Zähne führen.
Diagnostik
Die Diagnose basiert auf einer gründlichen klinischen Untersuchung durch den Zahnarzt oder die Zahnärztin. Dabei werden folgende Faktoren berücksichtigt:
- Anamnese (Medikamenteneinnahme, Vorerkrankungen)
- Sichtbefund der Gingiva
- Sondierung zur Feststellung von Pseudotaschen
- Röntgenuntersuchungen zur Beurteilung des Alveolarknochens
- Histologische Abklärung bei unklarer Ursache oder Verdacht auf Neoplasie
Eine gute Differenzierung zwischen entzündlicher und medikamentös induzierter Form ist essenziell für die Therapieplanung.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Therapie der gingivalen Hyperplasie richtet sich nach der Ursache, dem Schweregrad der Wucherung und dem allgemeinen Gesundheitszustand der Patient:innen. Wichtig ist ein interdisziplinärer Ansatz, besonders bei medikamentöser oder systemischer Genese.
Nicht-chirurgische Maßnahmen
- Professionelle Zahnreinigung
- Verbesserung der Mundhygiene durch gezielte Anleitung
- Umstellung oder Anpassung der Medikation in Absprache mit dem behandelnden Arzt
- Antiseptische Mundspülungen (z. B. Chlorhexidin)
Chirurgische Therapie
Wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichen, ist ein chirurgischer Eingriff angezeigt:
- Gingivektomie: Entfernung des überschüssigen Zahnfleischgewebes mit Skalpell oder Laser
- Gingivoplastik: Formkorrektur der Gingiva
- Lasertherapie: Gewebeabtragung mit minimalinvasiver Technik
Regeneration und Nachsorge
Die Regenerationsphase nach einem chirurgischen Eingriff erfordert sorgfältige Nachsorge. Wichtig ist:
- Regelmäßige Kontrollen (Recall)
- Angepasste Mundhygieneprodukte
- Kontrolle von Risikofaktoren (z. B. Diabetes, hormonelle Dysbalancen)
Prognose
Die Prognose ist in den meisten Fällen gut – vorausgesetzt, die Ursache kann beseitigt oder kompensiert werden. Besonders bei medikamentös bedingter Hyperplasie kann es nach Absetzen oder Umstellung zu einer Spontanrückbildung kommen. Ohne Behandlung jedoch besteht die Gefahr, dass sich aus der Zahnfleischvergrößerung chronische Entzündungen oder sekundäre Parodontalerkrankungen entwickeln.
Komplikationen
Wird die gingivale Hyperplasie nicht behandelt, kann es zu folgenden Komplikationen kommen:
- Zahnlockerung durch chronische Entzündung
- Parodontitis
- Ästhetische Beeinträchtigung
- Funktionelle Einschränkungen beim Essen oder Sprechen
- Psychische Belastung durch verändertes Erscheinungsbild
Prävention
Die wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung ist eine konsequente Mundhygiene:
- Tägliches Zähneputzen (mind. 2x täglich)
- Interdentalreinigung mit Zahnseide oder Bürstchen
- Regelmäßige professionelle Zahnreinigung
- Aufklärung über Nebenwirkungen bestimmter Medikamente
- Frühzeitige Erkennung durch zahnärztliche Kontrolluntersuchungen
Maßnahmen bei gingivaler Hyperplasie
- Ursachensuche: Medikament, Hormone, Entzündung oder Systemerkrankung?
- Verbesserte Mundhygiene als Grundpfeiler jeder Behandlung
- Professionelle Reinigung zur Reduktion von Plaque und Biofilm
- Chirurgische Entfernung bei massiven Veränderungen
- Langfristige Betreuung mit engmaschigem Recall-System
Beispielhafte Ursachen im Überblick
Medikamente, die mit Hyperplasie in Verbindung stehen:
- Antiepileptika (Phenytoin)
- Kalziumkanalblocker (Nifedipin, Amlodipin)
- Immunsuppressiva (Ciclosporin A)
Weitere Risikogruppen:
- Jugendliche in kieferorthopädischer Behandlung
- Schwangere
- Patienten mit Leukämie oder Diabetes
Fazit
Die gingivale Hyperplasie ist mehr als ein kosmetisches Problem. Sie kann Ausdruck systemischer oder medikamentöser Prozesse sein und ist stets als Warnsignal zu verstehen. Eine individuelle Diagnostik und ganzheitliche Therapie – kombiniert mit Aufklärung und Prävention – ermöglichen eine nachhaltige Verbesserung der Mundgesundheit und der Lebensqualität der Betroffenen.
